Erik Ode

  

Als Fritz Erik Signy Odemar wird er am 6. November 1910 in Berlin geboren. Der Sohn des Schauspielers Fritz Odemar und der Schauspielerin Erika Nymgau besucht Schulen in Stendal, Saarbrücken und Berlin. Dort tritt er als Chorsänger im Deutschen Opernhaus auf. Er kommt schon früh mit der darstellenden Kunst in Berührung. Im Alter von zwölf Jahren steht er mit den damaligen Filmstars Henny Porten und Asta Nielsen vor den Stummfilmkameras ("I.N.R.I.", Regie: Robert Wiene). Nach der Mittleren Reife beginnt er eine Lehre in einer phototechnischen Anstalt. Er will als Kameramann zum Film und wird Assistent von Otto Kanturek; mit der ersten Bühnenrolle 1928 ("Schlafstelle", Regie: Leopold Lindtberg) im Theater am Schiffbauer Damm in Berlin ändern sich die beruflichen Pläne. Er macht Kabarett und dreht ab 1931 auch Filme (u.a. "Il est charmant", "Kadetten", "FP 1 antwortet nicht", "Glück im Schloß", "Charleys Tante", "Der Dschungel ruft"); insgesamt steht er bis 1945 bei 47 Filmen vor der Kamera. In Berlin agiert er zudem auf den Bühnen der renommiertesten Theater (z.B. Metropol-Theater, Theater am Nollendorfplatz). 1938 hat er Engagements auf der Isle of Wight und in London. 1939 geht er an das Münchner Staatsschauspiel, nach Wehrmachtstourneen durch Norwegen und Frankreich wechselt er 1943 an die Berliner Künstlerbühnen. Kurz vor Kriegsende wird er als Funker zum Militärdienst eingezogen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg spielt er an der Komödie am Kurfürstendamm und macht wieder Kabarett. Zudem führt er beim neuen NWDR Hörspielregie. 1948 wird er Oberspielleiter beim Sender RIAS Berlin. Für die Produktionen der M-G-M führt er die Synchronregie und ist die deutsche Stimme von Fred Astair und Gene Kelly. Als Regisseur inszeniert er an Berliner Bühnen und insgesamt 20 Kinofilme (z.B. "Herrliche Zeiten" 1950, "An jedem Finger zehn" 1954, "Heldentum nach Ladenschluß" 1955, "Der Mustergatte" 1956). Seine Revue- und Schlagerfilme mit Peter Alexander, Caterina Valente, Vico Torriani oder Marika Rökk prägen das Genre in den 50er Jahren. Für das Fernsehen inszenierte er 14 Fernsehfilme und mehrere Serien; er führte aber auch immer wieder Bühnen-Regie. Ab 1961 ("Rosen für Marina", Regie Wolf Dietrich) arbeitet er zudem als Darsteller für das Fernsehen. Er ist seitdem in vielen Rollen zu sehen und tritt auch in den erfolgreichen Serien "Die fünfte Kolonne" und "Das Kriminalmuseum" auf. 1968 beginnt er mit der Arbeit, die ihn berühmt machen wird: Er ist "Der Kommissar" und spielt ihn in 97 Folgen, von denen er drei auch inszeniert. Nach acht Jahren Kommissar Keller spielt er wieder Theater ("Tod eines Handlungsreisenden", "Des Teufels General", "Pygmalion"), er inszeniert in Lübeck und Hamburg. Zwischen 1978 und 1980 spielt er die Hauptrolle in der Fernsehserie "Sonne, Wein und harte Nüsse", inszeniert zwei Episoden der Krimi-Reihe "Derrick" und steht 1981 in der Deutsch-Österreichischen Ko-Produktion "Schuld sind nur die Frauen" (Regie: Eugen York) letztmalig vor TV-Kameras. 1982 erleidet er einen Schwäche-Anfall auf einer Münchner Theaterbühne und zieht sich aus dem Berufsleben zurück.

Auszeichnungen: "Goldene Kamera" der Zeitschrift Hörzu 1972 und "Bronzene Kamera" 1980, "Goldener Bambi" der Zeitschrift Bild + Funk 1970, 1971, und 1972, Goldener Bildschirm 1972, Bambi in Silber 1975, Selznick-Preis in Silber.

Erik Ode, seit 1942 mit der Wiener Schauspielerin Hilde Volk verheiratet, stirbt am 19. Juli 1983 in Weißbach/Tegernsee.

Seine Frau, die große Bühnenerfolge in Wien, Berlin und München feiert, und auch an zahlreichen Hörspielen sowie Fernsehserien mitwirkt, stirbt im Alter von 83 Jahren am 16. Mai 1995 in Spanien.

Gerald Grote


DER KOMMISSAR:

Ein Mann und seine Ausstrahlung

Von Gerald Grote

(Auszug aus dem Buch "Der Kommissar - Eine Fernsehserie und ihre Folgen"
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag Berlin, Oktober 1999. ISBN 3-89602-311-X)

   
Schüsse im Hausflur, Schläge im Hinterhof, Schreie im Park. Es beginnt jedes Mal mit einem Mord-Opfer, das in Gebüschen, Zugabteilen oder Autos geduldig auf seine Entdeckung wartet. Und der Kommissar ermittelt. Ruhig, besonnen. Bei der Verfolgung von Verdächtigen und verdächtigen Spuren zieht er keine Pistole, sondern seine Schlüsse. Das ist für die Betroffenen auch viel gefährlicher!

Am 3. Januar 1969 begann Kommissar Keller seine öffentliche Ermittlungsarbeit im ZDF. Um 20.15 Uhr kümmerte er sich an diesem winterlichen Freitagabend mit seinen Mitarbeitern Walter Grabert, Robert Heines, Harry Klein, Helga Lauer und Fräulein Rehbein um einen toten Herrn im Regen. Ein Ermittler neuen Typs war geboren. Ausgestattet mit einer präzisen Beobachtungsgabe, zynischem Humor, väterlicher Güte und einer stets gefüllten Schachtel Zigaretten. Der Mann in schwarz/weiß bekennt Farbe und wird bekannt wie ein bunter Hund.

Vorbild für diese Serien-Figur war der französische Kommissar Maigret, dem sein Autor Georges Simenon bereits 1931 mit dem Roman "Pietr-le-Letton" ("Maigret und Pietr der Lette") zu buchstäblichem Leben verhalf. Die ruhige bis betuliche Fahndungsarbeit eines älteren Polizisten steht hier im Mittelpunkt. Diese besonnene, beinahe bedächtige Art und Weise der Ermittlungstätigkeit trägt dazu bei, daß die verzwickten Fälle, die bei ihm auf dem Schreibtisch landen, in nachvollziehbarer Gelassenheit und mit überlegener Überlegung gelöst werden können. Er begibt sich in die Welt des Verbrechens und würzt deren fade Geschmacklosigkeiten mit einer Prise seiner väterlichen Güte. Seine Einsichten in das Milieu machen die Rechtsbrecher einsichtig. Seine unerschütterliche Ruhe steht in markantem Kontrast zu den oftmals hektischen Verschleierungsversuchen von Tätern und Tatverdächtigen, denen er mit immer wieder und häufig auch mit Neugier begegnet..

Einige jener Grundelemente adaptierte der Drehbuchautor Herbert Reinecker und reicherte sie mit neuen Details an. Die Melancholie vom Maigret wird in der Person von Kommissar Keller zur deutschen Schwermütigkeit, denn es sind häufig die familiären Institutionen und bürgerlichen Organisationen, die nicht mehr funktionieren. Der Ermittler trauert seinen Idealen nach und hat die Hoffnung, durch seine Tätigkeit die verlorene heile Welt irgendwo ein wenig zu kleben. Doch jede Scherbe verrät ihm, daß der Wunsch nach globaler Makellosigkeit, nach lupenreiner Perfektion lediglich ein sentimentaler Traum schlafloser Nächte bleiben muß. Genau das hat er schweren Herzens akzeptiert. Er beobachtet viel, redet wenig und kann als scharfsinniger Zuhörer seine Augen sprechen lassen.

Der Drehbuch-Autor wurde zum Schneider, der hier aus buntem Diskussionsstoff feine Maßanzüge für die Akteure nähte. Die Handlung war mehr als nur eine knochige Krücke, an der sich die Schauspieler auf- und ausrichten konnten. Die vielen Millionen Zuschauer schalteten ihr Fernsehgerät ein, weil sie mit Personen zusammensein konnten, die durchaus auch in ihrer Stadt, in ihrer Nachbarschaft leben könnten. Die Bildschirm-Erzählung half, die unterschiedlichen TV-Charaktere, die die Zuschauer zu Hause besuchten, etwas näher kennenzulernen. Dabei wurde von den Konsumenten ein ums andere Mal vergessen, daß jede dargestellte Persönlichkeit auf dem Fernsehschirm immer bloß ein Teil einer aufbereiteten Geschichte war und nur ein Bruchteil von dem ist, was das wahre Leben an- und ausmacht.

Das gilt ganz besonders für den Hauptdarsteller der Serie. Denn Erik Ode war weit mehr als nur "Der Kommissar" des Fernsehens. Er hatte sich als Regisseur und Schauspieler in unzähligen Theater-Produktionen einen Namen gemacht, spielte Kabarett und stand bei insgesamt 52 Kino-Produktionen vor und bei 17 hinter der Kamera. Bei drei weiteren Filmen war er sowohl für die Hauptrolle als auch für die Spielleitung verantwortlich. Er inszenierte auch beim Rundfunk und von Beginn an bei dem sich erst allmählich, aber dann immer rasanter entwickelnden Fernsehen. Als Synchron-Regisseur und -Autor arbeitete er für Metro-Goldwyn-Meyer-Filme und war die deutsche Stimme für Fred Astair und Gene Kelly.

"Es gibt Leute, die den Kopf schütteln, wenn sie hören, daß ich abwechselnd Schauspieler und Regisseur bin, manchmal auch beides gleichzeitig", erzählt Erik Ode. Und auf die häufig gestellte Frage, wie denn soetwas eigentlich funktionieren könne, antwortet er: "Das weiß ich nicht. Das gehört zu der Kategorie Fragen, über die man nicht allzu intensiv nachdenken darf. Sonst gerät man in die Gefahr des Tausendfüßlers, der unfähig ist zu einem einzigen Schritt, sobald er darüber nachgrübelt, in welcher Reihenfolge er seine tausend Füße setzen soll."

Trotz seiner vielen Erfolge auf Bühnenbrettern, Leinwänden und Fernsehschirmen über mehr als dreißig Jahre hindurch, erinnert man sich an Erik Ode hauptsächlich wegen einer ganz bestimmten, einprägsamen Darstellung. Sein Kommentar dazu: "Richtig. Ich habe eine gewisse Rolle im deutschen Fernsehen gespielt. Einen Kriminalkommissar mit dem einfachen Namen Keller. Ohne jeden Vornamen oder sonstigen Schmuck. Selbst der Nachname ist kaum von Bedeutung. Eigentlich bleibt von der Figur nur übrig: Der Kommissar."

Der Produzent Helmut Ringelmann sprach im März 1973 in der "Fernsehwoche" über die Grund-Idee der neuen Serie: "Wir suchten nach einen Kommissar, der so ganz anders sein sollte als die damals üblichen Krimihelden. Es war die Zeit des ,James Bond’ der knallharten Übermenschen, Wir wollten jedoch einen Kommissar der - mal fast poetisch gesagt - aus der Stille kommt." Gab es noch andere Schauspieler, die für diese Rolle vorgesehen waren? "Nein. Nur Ode. Ich erinnerte mich - und erinnere mich noch heute - an zwei typische Szenen aus einer Kriminalmuseum-Folge, in der Erik Ode mitspielte. Da ist er als Kommissar Gareis schon genau der Kommissar Keller, wie wir ihn uns damals erträumten und wie er dann so populär wurde."

Der Produzent hatte seine eigene Neue Münchner Fernsehproduktion gegründet und begann sofort mit der Arbeit an den ersten sechs Folgen seiner neuen Krimi-Reihe. Die Drehbücher lieferte Herbert Reinecker, eine Art Hausautor des noch jungen Zweiten Deutschen Fernsehens. Dessen Programmplaner wollten den Popularitäts-Rückstand gegenüber der ARD wettmachen und brauchten Drehbücher für Kriminalfilme. Zuerst kopierte man deshalb die Konkurrenz: Die Idee der extrem erfolgreichen Mehrteiler von Francis Durbridge wurde zu eigenen Stoffen umgewandelt. Herbert Reinecker schrieb drei dreiteilige Fernsehfilme: "Der Tod läuft hinterher" (1967), "Babeck" (1968) und "11 Uhr 20" (1970). Aber erst mit der neuen Freitagabend-Serie "Der Kommissar" wurde auch sein Autor einer großen Zuschauer-Gruppe bekannt.

Auf die Frage, warum er für die Hauptrolle Erik Ode wollte, formulierte Helmut Ringelmann: "Die einen fanden ihn zu klein. Die anderen fanden ihn zu alt. Die dritten sagten, er sei ja Regisseur. Die vierten meinten, ein Kommissar wäre er nie. Nur mir gefiel er so gut, daß ich vergaß, ihm zu sagen, er sei der Kommissar." Und deshalb erfuhr Erik Ode seine Wahl aus der Zeitung. Mit der dicken Überschrift "Jetzt kommt der neue deutsche Superkommissar" brüllte sich am 2. Januar 1968 die BILD Zeitung in das Bewußtsein der Leser.

Das war der Beginn einer mehr als sieben Jahre währenden Artikelflut über diese auffallend andere Fernseh-Serie, ihre Darsteller und ihre Drahtzieher hinter der Kamera. So schrieb die BILD-Zeitung bereits am 3. August 1968, also fünf Monate vor Ausstrahlung der ersten Episode: "Mit der größten Krimi-Besetzung, die es je in einer deutschen Fernseh-Krimiserie gab, startet das Zweite Deutsche Fernsehen seine Sendereihe ,Der Kommissar’. Darauf werden sich Millionen Zuschauer freuen." Und an anderer Stelle des Artikels heißt es: "Das ZDF hofft mit dem ;Kommissar’ einen ;deutschen Maigret’ auf den Bildschirm zu bringen."

Es war 1968, als die leb- und lieblosen Fließband-Krimis aus dem Ausland immer weniger Zuschauer fanden. Die große Langeweile kroch in die Wohnzimmer und sorgte dafür, daß man für diese schlaffördernden Bildschirmmätzchen nur noch ein müdes Lächeln übrig hatte. Da sorgte "Der Kommissar" für hellwache Momente bei seinen aufgeweckten Zuschauer und erklomm innerhalb nur weniger Monate mühelos den ersten Platz bei den Einschaltquoten. Die Qualität der Darsteller und der Darstellung sorgten für die Kontinuität in der Erfolgsbilanz. Mit einer durchschnittlichen Sehbeteiligung von 71-74% verzeichnete man in den Jahren 1971, 1972 und 1973 ein Traum-Ergebnis. Mehr als 30 Millionen Menschen waren in jedem Fall mit Kommissar Keller dem Täter auf der Spur. Das veranlaßte Joseph Viehöfer, in seinem Beitrag für das ZDF-Jahrbuch 1971 zu formulieren: "Der Erfolg von ;Maigret’ wird weit übertroffen von der Kriminalreihe, die Herbert Reinecker unter dem Titel ;Der Kommissar’ schreibt - wohl der größte Serienerfolg des europäischen Fernsehens überhaupt."

Die vielen Publikums-Preise machten aus dieser gerngesehenen Krimi-Unterhaltung eine ausgezeichnete Serie. Ging der "Goldene Bambi" 1968 noch an den Autoren Herbert Reinecker für seine Drehbücher zu "Babeck" und "Der Kommissar", erhielten Kommissar Keller und seine Ermittler-Mannschaft diesen Preis dreimal hintereinander (1969, 1970, 1971). Für seine schauspielerische Leistung bekam Günther Schramm 1969 zusätzlich den "Bambi" in Bronze.

Während Erik Ode 1972 mit dem "Goldenen Bildschirm" ausgezeichnet wurde, gab es für die Schauspielerin Monica Bleibtreu im selben Jahr eine "Goldene Kamera", unter anderem für ihre Leistung in der 51. Kommissar-Folge "Fluchtwege". Außerdem erhielten die Regisseure, Schauspieler und der Autor 1975 den "Bambi" in Silber. Die vielbeachtete Serie wurde in viele Länder verkauft, beispielsweise in die Schweiz, die Niederlande, Belgien, Schweden, Venezuela sowie weitere Staaten Südamerikas und gehörte auch dort zu den anziehendsten Zuschauermagneten.

In einem Gespräch für "Die Zeit" vom 11. Juli 1975 mit dem Journalisten Ben Witter sagte Erik Ode: "Sechzig Kopien werden von jedem ,Kommissar’ gezogen, sie gehen, außer nach England, in die ganze Welt, und auch in den Ostblock, nach Ungarn, in die Tschechoslowakei und nach Finnland. In vielen Ländern ist ,Der Kommissar’ die Nummer eins. Wir Schauspieler haben dadurch aber keinen Pfennig mehr. Ich kann mir den Erfolg auch nicht erklären, und ich will es auch nicht. Würde man ihn analysieren, dann wüßte man zuviel über die Ingredienzien, die den Erfolg machen, und man könnte in dieser Sache dann auch keinen Erfolg mehr haben."

Erik Ode beklagte in der "Berliner Morgenpost" die "Beamten-Gage": "Erfolg wird in Deutschland nicht honoriert. Wir alle - ich meine damit sämtliche ,Kommissar’-Mitwirkende, denn sie haben ja den gleichen Anteil an der erfolg-bringenden Gestaltung - werden nach der vom ZDF diktierten Stopgage abgegolten. Wir bekommen nicht einmal, wie beim Rundfunk oder der ARD üblich, die fünf Prozent für Wiederholungssendungen. Geschweige denn einen Bonus für Auslandsverkäufe!"

Der Produzent Helmut Ringelmann bekam für jede Folge vom Fernsehen einen Festbetrag, der anfangs bei 300.000 DM gelegen haben soll und später auf bis zu 325.000 DM angehoben wurde. Damit mußte alles bezahlt werden, 13 Drehtage plus Vor- und Nachbereitung. Erik Ode erhielt für eine Folge um die 10.000 Mark, später wurde das Honorar "minimal angehoben", wie er sagte. "Aus dem ,Kommissar’ wollte ich manchmal raus, ja raus, raus, aber ich blieb drin. Einige Male bin ich ausgebrochen, habe es aber nicht geschafft, hart zu bleiben, schon aus einem gewissen Abhängigkeitsgefühl heraus gegenüber der Crew. Und das Geld? Meine Gage war nur durch die Kontinuität für mich interessant, so viel hätte ich auch woanders verdienen können."

Man macht es sich zu einfach, einen der zugkräftigsten Serienhelden der deutschen Fernsehgeschichte als "Kripo-Biedermann" ("Der Spiegel") zu titulieren. Denn sämtliche Krimireihen sind in ihrer Grundstruktur immer konservativ, etabliert und systemkonform. Sie sind dem Heile-Welt-Schema verhaftet und dem Happy-End verpflichtet. Man jagt einen Täter über aberwitzige Häuserdächer, schrille Schrottplätze oder hofft, auf Bahnhöfen zum Zug zu kommen. Man verfolgt ihn mit rasant rasenden Autos, flügellahmen Flugapparaten und windschiefen Segelbooten, hetzt ihn durch ölige Fabrikanlagen, wüste Wüsten und bizarre Phantsiewelten; man schießt auf ihn, man kämpft mit ihm, man sticht auf ihn ein. Was immer auch bei der Strafverfolgung geschehen mag und wie viele Rück-Schläge die Hartnäckigkeit des Verfolgers auch einstecken muß, eines wird in einer Fernseh-Krimi-Serie immer so sein: Am Ende läßt man keinen Täter laufen, der, die oder das Gute hat mal wieder gesiegt.

Jenes traditionelle Charakteristikum des Kriminalfilms kommt nicht von ungefähr und ist alles andere als aus der oftmals dicken Luft gegriffen. Ein solcher Film will lediglich unterhalten, nichts anderes. Dem Zuschauer soll es möglichst gut dabei gehen. Er soll sich mit einer Polizei und einer Justiz in Geborgenheit wähnen, wie sie in Grundzügen -natürlich nicht in der idealen Übersteigerung der Fernsehproduktionen- auch wirklich existieren. Die dargestellten Behörden und ihre Vertreter sollen nicht nur gerecht sein, sondern auch funktionieren. Wird in Kriminalfilmen die Polizisten als permanenter Versager und der Justiz-Apparat als mit Fehlern durchsetzte Organisation gezeigt, sinkt die Akzeptanz beim Publikum rapide ab.

Der Kommissar ist stets ein ruhiger Mann, arg wortkarg, symbolisch melancholisch, fachlich-sachlich, auffällig unauffällig, lässig zuverlässig und ... erfolgreich. "Diese gestellte Ruhe", sagt Erik Ode in dem erwähnten Interview für "die Zeit", " ist eine hervorragende Rolle, aber ohne Zigaretten geht das nicht. Und ich bin immer noch jähzornig und kann Ungerechtigkeiten nicht ertragen, ich bin nicht nachtragend, aber ich vergesse nie, wenn man mich ungerecht behandelt hat."

Erik Ode hat sich ein ums andere Mal mit dem Autoren Herbert Reinecker auseinandergesetzt, diskutiert, um Drehbuch-Inhalte gestritten und um die Ausgestaltung seiner Rolle. "Ich habe in den acht Jahren sehr viel gekämpft mit dem Autor, gekämpft um Humor und Leichtigkeit, um eine Art souveränen Humor. Diese Vaterfigur habe ich eigentlich nicht gewollt, sie ist manchmal so tierisch ernst ... Herr Reinecker hat sein Niveau nie verloren, aber er hat überhaupt keinen Humor, und wurden irgendwo einmal ein paar Lichter aufgesetzt, waren sie nicht von ihm."

Wenn Wesen ihr Unwesen treiben, hat "Der Kommissar" in jeder Einstellung die richtige Einstellung. Dabei ist er grundlegend anders als seine schönen, jungen, sportiven Konkurrenz-Inspektoren aus Amerika. Er vermeidet die schnellere Gangart auf dem Weg zum Ermittlungsziel. Seine gutmütige Art läßt ihn offen erscheinen für die schlummernden, aber in jedem Augenblick erwachenden menschlichen Schwächen, Laster, Obsessionen. Er glättet die Wogen und bringt all jene im und vor dem Bildschirm wieder zur Besinnung, die all zu vorschnell ihr Urteil abgegeben haben. Und genau darin liegt eines der Geheimnisse für den langlebigen Erfolg.

Vierzig bis fünfzig Personen arbeiteten seit 1968 ständig für das Projekt "Der Kommissar". Erik Ode beschrieb das in seinem Buch "Der Kommissar und ich" so: "Es gibt in dem Team Menschen, die mir sympathisch sind und andere, die mir weniger sympathisch sind. Mit denen muß ich auskommen, wie sie mit mir auskommen müssen. Das haben wir alle begriffen, und das ist auch unsere Rettung. Nachdem das Ausmaß unseres Erfolges feststand, wußten wir, daß wir dazu verdammt waren, uns zu vertragen."

Und wie war das eigentlich mit seinen Assistenten? "Es ist nicht so, daß wir auch im Privatleben ein unzertrennliches Kleeblatt bilden. Im Privatleben sind wir durchaus zertrennlich. Es kommt auch viel seltener vor als unser Stammpublikum annimmt, daß wir alle gleichzeitig vor der Kamera erscheinen." Das war wahrscheinlich die Basis für die langjährige Zusammenarbeit. "Und in den acht Jahren hatten wir ,vier’ im ;Kommissar’ nie Krach."

Kommissar Keller und seine Helfer gaben der Nation in äußerst unruhigen Zeiten ein gewisses Gefühl von Sicherheit und Gewissen. Denn besonders das Jahr 1968 hatte viele und vieles verändert. Die Zeitungen und die Nachrichtensendungen von Radio und Fernsehen brachten besorgniserregende Beunruhigung und belastende Befürchtungen in sorgsam gestaubsaugte Wohnzimmer.

In Vietnam wütete immer noch ein mörderischer Krieg mit noch mörderischeren Kriegern; der Bürgerrechtler Martin Luther King wurde erschossen; ein 23jähriger Mann verübte ein Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke; die Studentenunruhen in Frankreich eskalierten; dem Schlafmittel "Contergan" und sieben leitenden Angestellten machte man den Prozeß; tausende von Studenten protestierten gegen die Notstandsgesetze; Senator Robert Kennedy wurde ermordet, Sowjetische Truppen besetzten die Tschechoslowakei: in Biafra starb ein ganzes Volk.

Wenn schon die Politik versagte und ihre protestierende Jugend von den Ordnungskräften ordentlich verprügeln ließ, dabei die Menschlichkeit mit Füßen getreten wurde und die Kontrolle außer Kontrolle geriet, dann war es gut, zu wissen, daß es doch noch etwas gab, auf das man sich ruhig verlassen konnte.

Nichts blieb unerledigt auf dem klotzigen Polizei-Schreibtisch liegen. War auch manche Vorgehensweise ebenso hölzern wie die Regalbretter in seinem Büro, so schenkte man diesem Mann und seiner großen Erfahrung mit all dem Bösen in der Welt immer größte Aufmerksamkeit. Sein Interesse an der menschlichen Tragödie hinter einem Verbrechen brachte ihm gute Quoten und gute Noten. Es war beinahe so, als würden die Filme nach der Überführung des Täters und der Abblende noch ein kleines Stückchen weitergehen, denn über so manche Folge wurde innerhalb der Familien und unter Freunden, aber auch in der Schule, in den Betrieben und in Zeitungsartikeln weiterdiskutiert. Der Klärung folgte die Erklärung des Verbrechens außerhalb der Sendezeit.

Angesichts vielfach ungesühnter Verbrechen im wirklichen Leben haben die Zuschauer von Kriminalfilmen häufig Rachegedanken, die sie automatisch in ihre Wünsche über den weiteren Handlungsverlauf integrieren. Wenn es in der Wirklichkeit schon so wenig gerecht zugeht, dann sollen zumindest die TV-Verbrecher kräftig büßen. Das Böse bekommt seine gerechte Strafe und es schleicht sich in die Fernsehsessel ein befriedigendes Gefühl eines geglückten Vergeltungsschlages; der ahndende Schlußstrich unter die Abrechnung ist gemacht. Der Krimi im Wohnzimmer produzierte etwas bis dahin völlig Unbekanntes: Fernseh-Gerechtigkeit. Zufrieden, geschützt und mit entsprechendem Abstand durfte man genüßlich zusehen, wenn bestraft wird.

Zwar funktionieren die einzelnen "Kommissar"-Episoden auf ähnliche Art und Weise wie die Produktionen aus England, Frankreich oder den USA, doch im Gegensatz zu ausländischen Serien wurde das Gesehene nun mal vor unseren Haustüren inszeniert. Das erhöhte die Glaubwürdigkeit und löste ein Gefühl der Anteilnahme aus. So manches Schicksal gab Anlaß zur Beschäftigung und Diskussion auch noch lange nach der Ausstrahlung im Fernsehen. Die Aussagekraft der Handlungsebenen war wesentlich höher, charakterliche Eindrücke tiefer und die Film-Personen wirkten dadurch weitaus plastischer als vieles bislang Dagewesene

"Der Kommissar" ist ein sehr lakonischer Typ, der sich mehr in einen Fall hineinfühlt als hineindenkt. Er wundert sich eigentlich über gar nichts und vermeidet jedes Urteil. Er ist eher ein sanfter Polizist, der nur selten und dann mit größtem Unbehagen laut wird. Und er läßt immer mal wieder durchblicken, was von einer Person zu halten ist.

Auf eine Feststellung legte Erik Ode stets ganz besonderen Wert: "Ich bin nicht der Kommissar. Ich spiele den Kommissar. Für viele Menschen mag das eine andere Wahl der Worte sein, für mich ist es jedoch ein entscheidender Unterschied. Der Unterschied ist umso wichtiger, gerade weil die Figur des Kommissars und mein eigenes Ich manchmal fast deckungsgleich sind. Das ist eine Zwillingsähnlichkeit - und wer Zwillinge kennt, der weiß wie stark sie darauf Wert legen, nicht mit dem anderen verwechselt oder gar als Einheit behandelt zu werden."

Erik Ode war stets verwundert über die in der Bevolkerung weit verbreitete Annahme, er sei nicht Schauspieler, sondern Polizist: "Damen kommen zu mir und sagen: ,Mir ist meine Handtasche weggekommen, können Sie nicht mal feststellen, wer das gewesen ist?’ Männer vertrauen mir an: ,Gestern hat das Essen zu Hause so komisch geschmeckt, meine Frau will mich umbringen. Machen Sie mal was.’" Und bei einem Urlaub mit seiner Frau in Tirol wurde dem Ehepaar kurz vor der Abreise aus ihrem Zimmer wertvoller Schmuck und auch Bargeld gestohlen. "Es herrschte allgemeine Verwunderung, daß ich diesen Fall nicht sofort selbst übernahm und binnen einer Stunde den Täter fand. Ich rief die Polizei. Die Beamten waren überaus höflich und versicherten, sich doppelt zu bemühen, da ich ja ein Kollege von ihnen wäre."

Um die gravierenden Unterschiede von Herbert Keller und Erik Ode ein für allemal darzulegen, veröffentlichte der Schauspieler im Jahr 1972 seine Biografie "Der Kommissar und ich", ein 440 Seiten starkes Buch. "Der Titel ist nicht von mir", konnte man am 11. Juli 1975 in der Zeitung "Die Zeit" lesen. "Als ich es schrieb, erkannte ich, daß ich niemals Schriftsteller werden kann. Ich habe etwas zu sagen, komme aber nicht über meine Grenzen hinweg, und ich sage mir, was geht das die Leute an. In meinem Stammlokal in Rottach-Egern habe ich das Buch geschrieben, und danach war ich so krank, daß ich wirklich ins Sanatorium mußte. Ich schrieb das Buch mit absichtlicher Wurstigkeit; man muß zwischen den Zeilen lesen können, wenn man es liest. Ich würde es nie wieder tun. Ich bin so kontaktarm. Ich habe sehr wenig Freunde. Ich brauche viel Zeit für Menschen und umgekehrt. Aber die Menschen müsen mich deuten ..."

Gegenüber der "Funkuhr" erklärte er im Oktober 1972 seine Schreibflucht aus den eigenen vier Wänden etwas näher: "Ich habe zwar einen wunderschönen Schreibtisch zu Hause, in einem gemütlichen, hellen Arbeitsraum. Aber dort kann ich einfach nicht schreiben, nicht einmal meine Rollen, die ich vor dem Lernen immer mit der Hand abschreibe. Wenn ich arbeite, dann gehe ich lieber in ein Café oder ein Gasthaus. Kein Wunder, daß meine Frau schon aus diesem Grund meinen Memoiren sehr skeptisch gegenüberstand. Schließlich war ich dadurch noch weniger daheim, doch dann gefiel ihr das fertige Buch doch."

Erik Ode war seit 1942 mit der Schauspielerin Hilde Volk verheiratet. Beide gingen mit größtem Engagement ihren Engagements nach, Bühnen-Auftritte hier, Dreharbeiten dort und ausgedehnte Theater-Tourneen. Sie hatten eine Mietwohnung in Berlin. In ihr Haus in Rottach-Egern am Tegernsee kamen sie nur selten zum Urlaubmachen vom Leben aus dem Koffer. Die Ehe blieb kinderlos. "Manchmal waren wir ein bißchen traurig darüber", sinnierte Erik Ode, ergänzte dann aber: "Und ich hege heute sowieso einige Zweifel, ob ich zu Vater so geeignet wäre. Im Fernsehen mag ich für Zehntausende eine absolute Vaterfigur sein, als leicht autoritärer Kommissar, der seine drei Assistenten wie seine Söhne behandelt. Etwa wie Inge Meysel die alldeutsche Fernseh-Mutter ist und in Wirklichkeit auch keine Kinder hat."

Wie sah sich Erik Ode selbst? "Ich bin doch ein ganz und gar uneitler Mensch, ich bin auch nicht neidisch, und ich bin vierundsechzig und nicht fünfundsechzig. Ja, ich habe mich zu einem Teil selbst verwirklicht, aber nur zu einem Teil, und ich möchte höchstens fünfundsiebzig werden ... Ob ich sentimental bin? Ja. Ich habe aber keine Freude am Leid."

Die verwendeten Zitate wurden dem 1972 erschienenen Buch von Erik Ode DER KOMMISSAR UND ICH aus dem Verlag R.S. Schulz, München und Percha entnommen.


Erik Ode - Der Kommissar